Ein Aktivist der Terrormiliz IS trägt eine Flugabwehrrakete auf der Schulter. Im Hintergrund ist die Flagge der Organisation zu sehen.(Foto vom Twitter-Account der Terrormiliz IS)
Einleitung
Zweck der Studie
1. Das Ziel dieser Studie ist, das Porträt der Organisation des Islamischen Staats im Irak und Groß-syrien (IS) zu analysieren. Die IS ist eine islamische dschihadistische-salafistische Terrororganisation, die sich vor etwa zehn Jahren von der al-Qaida im Irak abgezweigt hatte. Während der Kämpfe gegen die US-Armee festigte sie sich in den sunnitischen Gebieten im Westen des Irak und während des Bürgerkriegs in Syrien verbreitete sie sich auch dort im Osten und Norden. Im Sommer 2014 leistete die Terrormiliz IS dramatische Errungenschaften, die in der Eroberung der Stadt Mossul, der zweitgrößten Stadt im Irak, und in der Erklärung eines Kalifatsstaats (bzw. islamischer Staat) unter der Führung eines charismatischen irakischen Aktivisten gipfelten, der Abu Bakr al-Baghdadi genannt wird.
2. Die Studie analysiert das Porträt der Terrormiliz IS als Ganzes und in vielerlei Hinsichten. Sie untersucht den historischen Hintergrund und die Gründe, die zur Einrichtung der Terrormiliz IS und zu deren Etablierung geführt haben. Sie untersucht ebenfalls die ideologische Anziehungskraft der Terrormiliz IS und deren Ziele, sowohl in taktischer, als auch in strategischer Hinsicht. Letztlich geht es auch um die militärischen Fähigkeiten, die Regierungskompetenzen und die finanziellen Möglichkeiten. All diese sollen verständlich machen, was zu den Erfolgen der Terrormiliz IS geführt hat und warum sie zur realen Bedrohung nicht nur für den Irak und Syrien wurde, die weiterhin an erster Stelle bedroht sind, jedoch auch für die Stabilität im Nahen Osten und für die internationale Gemeinschaft im Allgemeinen. Die Studie behandelt auch die Kampagne, die die USA gegen die Terrormiliz IS erklärte, bei gleichzeitiger Untersuchung der bisherigen Ergebnisse und deren Erfolgschancen für die Zukunft.
Die Wurzeln der IS
3. Die Wurzeln der Terrormiliz IS liegen in einem al-Qaida-Zweig, der 2004 im Irak nach der US-Invasion errichtet und von Abu Mus'ab az-Zarqawi geführt wurde. Im Hintergrund zur Gründung und Festigung stand der Zerfall der irakischen Armee und des irakischen Regimes von Saddam Hussein. Diese hinterließen ein Sicherheits- und Regierungsvakuum und wurden von einer wachsenden Entfremdung der Sunniten von der Zentralregierung begleitet, die in Bagdad durch die USA etabliert wurde und einen schiitischen Charakter hatte. Während der langen Kampfjahre gegen die USA und ihre Verbündeten im Irak, etablierte sich der Zweig nach und nach, nahm den Namen "Islamischer Staat im Irak" an und entwickelte sich zu einem zentralen Akteur unter den Rebellengruppen, die gegen die US-Armee und die Alliierten kämpften.
4. Gegen Ende der amerikanischen Besatzung wurde die Organisation des Islamischen Staats im Irak schwächer (und mit ihr auch die anderen Rebellengruppen) durch die US-Militärerfolge, die von einer klugen amerikanischen Politik (zwischen 2008 und 2006) begleitet wurden, die sich um die sunnitischen Stämme im Westen des Iraks (dem zentralen "Gewächshaus" der Terrormiliz IS) gekümmert hatte. Doch der Mangel an Beständigkeit in der amerikanischen Politik, die von Ministerpräsident Adnan al-Maliki betriebene ethnisch-schiitische Politik unter der Schirmherrschaft der USA und der Abzug der US-Armee stärkten den Status der Organisation des islamischen Staats im Irak und positionierten sie in einer guten Position für das neue Zeitalter, das nach dem Verlassen der USA aus dem Irak begonnen hat.
5. Der Bürgerkrieg, der in Syrien (im März 2011) ausgebrochen ist, ermöglichte einen fruchtbaren Boden für die Ausbreitung der Aktivitäten des islamischen Staats im Irak auf das Gebiet von Syrien. Im Januar 2012 wurde die al-Nusra-Front ("Unterstützungsfront für das syrische Volk") als Erweiterung der syrischen irakischen Mutterorganisation gegründet. Zwischen den beiden brach jedoch bald eine Kontroverse, die zur Spaltung und zur Änderung des Namens der Organisation des islamischen Staats im Irak zu islamischer Staat im Irak und in Groß-Syrien (al-Sham) führteundeher unter den Initialen IS (DAIS auf Arabisch) bekannt ist. Die al-Qaida Führung, von Aiman az-Zawahiri geleitet, kündigte ihre Unterstützung der al-Nusra-Front an und distanzierte sich von der Terrormiliz IS. Seit diesem Beziehungsbruch feierte die Terrormiliz IS militärische Erfolge, woraufhin sie die Errichtung des islamischen Staats oder des Kalifatsstaats ankündigte,während der Rivale al-Nusra-Front schwächer wurde.
Die Ideologie der IS
6. Die IS ist eine islamische dschihadistische-salafistische Organisation, eine extremistische Fraktion des sunnitischen Islam, die die glorreichen Tage des frühen Islam (des Propheten Mohammed und den ersten Kalifen, die ihm folgten) wieder herbeiführen möchte. Dies soll mit Hilfe des Dschihad geschehen, dem heiligen Krieg gegen die Feinde im In- und Ausland. Dschihad ist, nach dieser Auffassung, die persönliche Pflicht eines jeden Muslims. Aus dieser Bewegung entstanden die al-Qaida und die globalen Dschihad Organisationen, zu denen auch die IS gehört.
7. Die Rückkehr zu den glorreichen Tagen des Islam, nach der Auffassung der IS, wird durch die Errichtung eines übernationalen islamischen Kalifats nach dem Vorbild der frühen Kalifen erfolgen, die nach dem Tod von Muhammad regierten. Dieses Land wird dem islamischen Recht (Scharia) in seiner radikalen Auslegung unterliegen. Dieses Kalifat wird auf den Ruinen der Nationalstaaten gegründet werden, die im Nahen Osten nach dem Ersten Weltkrieg etabliert wurden. Einige dieser Länder, darunter auch der Irak und Syrien, in denen die IS aktiv ist, befinden sich bereits in einem Prozess des Zusammenbruchs und des Zerfalls, als Teil der regionalen Erschütterungen, die dem Nahen Osten widerfährt. Diese Lage bietet einen bequemen Hintergrund für die Verwirklichung der Vision des islamischen Kalifats.
8. Die Gebiete des Kalifats, dessen Gründung Abu Bakr al-Baghdadi verkündete, erstrecken sich im östlichen Syrien und im westlichen Irak. Die IS strebt danach, diese zu erweitern und schließlich die Kontrolle über die Gesamtgebiete von Syrien und dem Irak zu übernehmen. Nach der Auslegung al-Baghdadis sollen dem islamischen Kalifats danach andere Länder und Entitäten einverleibt werden, die zu Groß-Syrien gehören (Jordanien, der Libanon, Israel und die Palästinensische Autonomiebehörde) und später auch andere Länder im Nahen Osten und darüber hinaus. Das zukünftige islamische Kalifat, nach der Vision der IS und gemäß der von ihr veröffentlichten Landkarten, umfasst große Teile von Nordafrika, Asien, dem Kaukasus und sogar einige Gebiete in Europa, die zuvor unter muslimischer Herrschaft standen (Spanien und die Balkanstaaten zum Beispiel).
Schlüsselmerkmale der IS
9. Im Folgenden einige Besonderheiten der IS:
A. Militärische Macht: Unserer Einschätzung nach ist die Anzahl der IS-Aktivisten im Irak und in Syrien mit ca. 25.000 zu beziffern. Diese Anzahl nimmt ständig zu.[1] Wir vermuten, dass es sich bei den IS Aktivisten um etwa 12.000 Syrer und Iraker, sowie um über 13.000 Ausländer handelt. Die meisten der ausländischen Freiwilligen stammen aus einemarabisch-muslimischen Hintergrund. Rund 3.000 von ihnen stammen aus dem Westen (fast die Hälfte von ihnen aus Frankreich und Großbritannien). Die ausländischen Freiwilligen kommen (in der Regel über die Türkei) nach Syrien, begeben sich dort in Trainingslager, wo sie von IS Aktivisten operativ eingearbeitet werden und an Kämpfen teilnehmen. Nach einer gewissen Zeit kehren die meisten von ihnen wieder in ihre Heimatländer zurück. Die Rückkehr dieser Aktivisten, die militärische Fähigkeiten erworben haben und einer islamischen dschihadistisch-salafistischen Indoktrination ausgesetzt waren, stellt ein Sicherheitsrisiko für ihre Heimatländer und sogar für Israel dar. (Der Angriff im Jüdischen Museum in Brüssel, der von einem französischen Aktivisten verübt wurde, der zuvor im Rahmen der IS gekämpft hatte, veranschaulicht diese Tatsache).
B. Kampfmittel: Die IS besitzt große Mengen an Kampfmitteln, von denen die meisten von den Armeen von Syrien und dem Irak beschlagnahmt wurden. Darunter befinden sich Kleinwaffen, Raketen und Granaten verschiedenen Typs, Panzerabwehr- und Flugabwehrwaffen. Darüber hinaus besitzt die IS schwere Waffen und fortschrittliche Technologien, die sich sonst nur in den Händen von regulären Armeen befinden: Artillerie, Panzer und gepanzerte Kampffahrzeuge, schultergestützte Flugabwehrraketen und bemannte und unbemannte Luftfahrzeuge (UAV). Die IS setzte in Syrien und dem Irak mehrmals Senfgas aktiv und möglicherweise auch andere Arten von chemischen Waffen ein. Die chemischen Waffen wurden gegen die kurdischen Milizen in Ain al-Arab (kurdisch: Kobane) und gegen die irakischen Sicherheitskräfte eingesetzt. In den Händen der IS befinden sich mindestens eine Scud-Rakete (wohl in einem technisch ungeeigneten Zustand) und einige Flugzeuge, die von einem Flughafen aus in einem Kontrollgebiet der IS betrieben werden.
C. Kontrollgebiete: Die IS beherrscht derzeit etwa ein Drittel des irakischen und etwa ein Viertel bzw. Drittel des syrischen Territoriums. In diesem breitenRaum, der sich vom Stadtrand von Bagdad bis zum Stadtrand von Aleppo erstreckt, leben mehrere Millionen von Menschen (verschiedenen Schätzungen zufolge handelt es sich um 5 bis 6 Mio. Menschen).[2] Unter der Kontrolle der IS befinden sich mehrere große Städte, darunter Mossul (die zweitgrößte Stadt des Irak), Falludscha (Symbol des Kampfes gegen die USA) und ar-Raqqa ("Hauptstadt" der IS in Nordsyrien). Auffällig ist der Kontrast zwischen der relativ kleinen Anzahl der IS Aktivisten und den umfangreichen Kontrollgebieten der Organisation. Um diese "Schwachstelle" zu überbrücken, verlässt sich die IS auf lokale Verbündete, während sie gleichzeitig umfangreiche Rekrutierungsbemühungen unternimmt, um weitere Aktivisten für die Streitkräfte und Fachpersonal, das für die Verwaltung nötig ist, aufzunehmen.
D. Etablierung alternativer Regierungssysteme: Die IS setzt in den von ihr kontrollierten Gebieten im Irak und Syrien alternative Regierungssysteme anstelle der dort zusammengebrochenen ein. Diese beinhalten das Bildungs-, Rechts- und Vollzugssystem und auch die Polizei. Somit bietet die IS der lokalen Bevölkerung grundlegende Dienstleistungen, drängt ihr jedoch zur gleichen Zeit ihre dschihadistische-salafistische Ideologie auf. Zu diesem Zweck verwendet die IS brutale Zwangsmethoden (einschließlich Massenhinrichtungen) sowohl gegen die Gegner der Organisation, als auch gegen die Minderheiten, die in den Kontrollgebieten leben. Es scheint jedoch, dass die lokale Bevölkerung trotz des brutalen Verhaltens zurzeit das Kontrollsystem der IS akzeptiert und manchmal sogar unterstützt. Dies ist besonders wegen der Fähigkeit der IS,die Grundversorgung anzubieten, das tägliche Leben wiederherzustellen und das Regierungsvakuum zu füllen, möglich.
E. Wirtschaftliche Fähigkeiten der IS: Die IS hat staatliche Infrastrukturen im Irak und in Syrien eingenommen, darunter die meisten Ölfelder im Osten Syriens und einige Ölfelder im Irak. Der Export von Erdölprodukten ist die Haupteinnahmequelle der IS und die Gewinne daraus werden auf mehrere Millionen US-Dollar pro Tag geschätzt. Die Einnahmen verringerten sich allerdings nach den Luftangriffen der USA und ihrer Verbündeten auf die Ölinfrastruktur der IS. Außerdem verfügt die IS über zusätzliche Einnahmequellen, wie beispielsweise verschiedene Arten von Kriminalität (Erpressung, Lösegeld für die Freilassung von Geiseln, Handel mit Antiquitäten), Spenden und Erhebung von Steuern von der unter ihrer Kontrolle lebenden Bevölkerung. Somit ergibt sich ein ungewöhnliches Beispiel einer terroristischen Organisation, der es gelang, eigene quasi-staatliche finanzielle Fähigkeiten zu entwickeln, die ihre militärischen Erfolge nähren und es ihr ermöglichen, ihr alternatives Regierungssystem zu etablieren.
Militärische Züge der IS im Irak und in Syrien (aktueller Stand, Mitte November 2014)
10. Im Juni 2014 begann die IS einen Feldzug, der sich unserer Meinung nach darauf richtet, die meisten Gebiete im Westen und Norden des Irak und danach auch die Hauptstadt Bagdad einzunehmen. Gleichzeitig ist die IS weiterhin damit beschäftigt, ihre Kontrolle über die verschiedenen Gebiete von Ost- und Nord-Syrien zu befestigen und ihre Gegner und Feinde (das syrische Regime, die al-Nusra-Front, die kurdischen Milizen und andere Rebellengruppen) zu schwächen. Die militärischen Erfolge, die die IS bisher erreicht hat, ermöglichten ihr, eine übernationale territoriale Kontinuität in den von ihr kontrollierten Gebieten im Irak und in Syrien zu schaffen, in denen sie energisch versucht, die Herrschaft des islamischen Kalifat einzurichten.
11. Im Feldzug der IS im Irak sind bisher drei Phasen zu beobachten:
A. Die Erfolgsphase (Juni bis August 2014): Während dieser Zeit wurde die Öl-Stadt Mossul erobert, die zweitgrößte Stadt im Irak, die zuvor von der irakischen Armee kontrolliert wurde. Die irakischen Militärkräfte, in deren Entwicklung und Ausbildung die USA während vieler Jahre massive Ressourcen investiert hatte, brachen zusammen und flohen. Die IS nahm auch den Damm von Mossul nördlich der Stadt ein und verjagte von dort die Kräfte der Peschmerga-Kurden, die ihn beschützten. (IS Einheiten versuchten auch denDamm von Hadith einzunehmen, der zweitgrößte im Irak. Dieser Versuch scheiterte jedoch angesichts des Widerstands der irakischen Armee.) Während dieser Phase wurde auch die Stadt Tikrit besetzt, Geburtsstadt von Saddam Hussein und ehemalige Hochburg der Baath-Partei.
B. Die Bremsphase (zweite Augusthälfte bis September 2014): Während dieser Zeit (in der die USA mit punktuellen Luftangriffen begann) wurde die Dynamik der Expansion der IS gebremst. Den Peschmerga-Kurden, der irakische Armee und den schiitischen Milizen gelang es, die Kontrolle über den Damm von Mossul zurückzuerlangen. Die irakische Armee drang die IS aus dem Gebiet des Hadither Damms und aus der Öl-Stadt Beejy heraus, die als weiterer wichtiger logistischer Knotenpunkt dient (obwohl die IS ihre Blockade auf sie fortgesetzt hat). Während dieser Phase gelang es den Feinden der IS, das Leben von ethnischen Minderheiten zu retten, die von der IS für "Ungläubige" gehalten werden und als Ziele für Belästigungen und Massaker dienen: Yezidische Flüchtlinge entkamen aus Dschabal Sindschar (Nordirak) und der Belagerungsring um die schiitisch-turkmenische Stadt Amirli (südlich von Kirkuk) wurde durchbrochen.
C. Versuche, die Kontrolle über das Gouvernement al-Anbar, wohl als Auftakt für die Eroberung der Stadt Bagdad, zu festigen (Ende September bis Mitte November 2014): Während dieser Zeit bemühten sich IS-Kräfte um die Säuberung von Widerstandszentren im Gouvernement al-Anbar (Iraks größter Regierungsbezirk) und bewegten sich in Richtung der Hauptstadt Bagdad. Gleichzeitig verübte die IS mehrere Selbstmordattentate in (meist schiitischen) Nachbarschaften in Bagdad. Nachrichtenagenturen berichteten, dass sich IS-Kräfte nur einige Dutzend Kilometer von Bagdad entfernt aufhalten und dass diese zurzeit gegen die Stadt Abu Ghuraib kämpfen, die westlich an Bagdad grenzt (und in der sich das berüchtigte Zentralgefängnis befindet, das zu Zeiten Saddam Hussains wegen seiner Folter-Praktiken bekannt wurde). Auf der anderen Seite gelang es der irakischen Armee, den schiitischen Milizen und den kurdischen Kräften, eine Reihe von militärischen Erfolgen zu erlangen. Herausragend ist die Aufhebung der Blockade der Stadt Beejy, die von der IS belagert wurde.
12. Derzeit konnte die IS ihre Kontrolle über das Gouvernement al-Anbar noch nicht etablieren. In Bezug auf die Zukunft kann vermutet werden, dass die IS versuchen wird, Bagdad zu erobern. Unserer Meinung nach wird diese Kampagne für die IS viel schwieriger sein als die Eroberung von Mossul. Denn hier würde die IS ein ernsthafter Widerstand von schiitischen Milizen und der irakischen Armee erwarten, die vom Iran und von den Luftangriffen der Koalition unter der Leitung der USA unterstützt werden. Es ist auch zu erwarten, dass es zu einer engeren militärischen Zusammenarbeit zwischen den Rivalen der IS gegen ihren gemeinsamen Feind kommen wird. Unserer Meinung nach wird die IS versuchen, den gegen sie gerichteten Widerstand durch die Belagerung von Bagdad und die Störung des täglichen Lebens in der Stadt (mittels Raketen- und Mörserbeschuss, Detonation von Bomben und Autobomben) zu überwinden. Es ist zu beachten, dass während der Monate Oktober und November 2014 in Bagdad Hunderte von Zivilisten beiSelbstmordanschlägen und Autodetonationen, die mindestens teilweise auf die ISzurückzuführen sind,getötet wurden, die meisten von ihnen Schiiten.
13. Parallel zum Feldzug, den die IS im Irak führt, versucht sie, ihre Kontrolle in weiteren Gebieten in Ost- und Nord-Syrien auszubauen. In diesem Zusammenhang gelang es ihr, dort ihre Feinde und Rivalen (andere Rebellengruppen, die al-Nusra-Front und die syrische Armee) zu beseitigen. Zudem geht es um dieErweiterung ihrer Herrschaft über neue Schlüsselgebiete (der Feldzug um die Eroberung des kurdischen Teils von Ain al-Arab, das kurdische Kobane an der Grenze zur Türkei, ist noch im Gange) und um den Ausbau der Kontrolle über die dort ansässige Bevölkerung. All diese werden mittels großer Geldsummen finanziert, die der IS als Resultat ihrer Herrschaft über nationale Infrastrukturen und insbesondere über die Ölfeldern im Osten Syrien zufließen, auch wenn sich die Gewinne aus dem Verkauf von Erdölprodukten als Folge der Luftangriffe der USA und ihrer Verbündeten verringerten.
Die wesentliche Implikationen und Bedeutungen der Festigung der IS im Irak und in Syrien
14. Die Festigung der IS im Irak und in Syrien hat weitreichende lokale, regionale und internationale Bedeutungen und Auswirkungen. Im Folgenden einige Kernpunkte:
A. Irak: Die Eroberungen der IS im Sommer 2014 beschleunigten den Zerfallsprozess des Irak in seinen religiös-sektiererischen Elementen. Es kann insofern festgestellt werden, dass der Irak als Nationalstaat nicht mehr funktioniert. Auf seinen Trümmern wurden drei staatsähnliche Entitäten gegründet: Eine sunnitische im westlichen und nördlichen Irak, die von der IS gesteuert wird; eine kurdische Autonomie im Norden; und eine schiitische Entität im zentralen und südlichen Irak, die mit dem schiitischen Regime in Bagdad verbunden ist. Die Grenzen zwischen diesen drei Entitäten sind labil und verschwommen. Voraussichtlich wird die IS, die sich immer noch im Vorstoß befindet, ihre Bemühungen um die Ausdehnung ihrer Kontrolle auf Kosten der anderen Entitäten fortsetzen, die jetzt in der Defensive sind.
B. Syrien: Auch in Syrien trug die Stärkung der IS zur Vertiefung ihrer de facto Teilung bei. Im Osten und Norden Syriens stärkte die IS ihre Kontrolle und schwächte ihre verschiedenen Gegner (das syrische Regime, die al-Nusra-Front und andere Rebellengruppen). Doch im Gegensatz dazu hat sie es nicht leicht, den Griff des Regimes in Damaskus zu lockern und anderen Kernzonen in Nord- und West-Syrien, bzw. der Kontrolle der Rebellen in Gebieten im südlichen Syrien (darunter auch das meiste Gebiet der Golanhöhen) entgegenzuwirken. Die Stärkung der IS und die amerikanische und internationale Kampagne gegen sie injizierten dem syrischen Bürgerkrieg eine explosive und instabile Dimension,dieeine Lösungsfindung für die syrische Krise in absehbarer Zukunft sehr erschweren könnte.
C. Die Festigung des globalen Dschihad im Nahen Osten: Die Leistungen der IS in Syrien und im Irak während der letzten Jahre verwandelten diese beiden Länder zum neuen Weltfokus des globalen Dschihad anstelle von Afghanistan und Pakistan. Im Gegensatz zu der Zeit von Osama bin Ladens, ist heute ein bipolarer und möglicherweise multipolarer Schwerpunkt zu verzeichnen, in dem sich zwei feindliche dschihadistische Konkurrenten etablierten: die Eine (IS) ist mit dem globalen Dschihad identifiziert, aber befindet sich im Bruch mit der al-Qaida unter der Führung von Aiman az-Zawahiri, und die Zweite (al-Nusra-Front) stellt den Zweig der al-Qaida in Syrien dar, steht jedoch im drastischem Konflikt mit der IS. Zwischen diesen beiden bewegen sich die Netzwerke des globalen Dschihad im Nahen Osten. Einige von ihnen unterstützen den Standpunkt der IS, die sich im Prozess der Stärkung gegen die al-Qaida Führung befindet. Die Festigung des globalen Dschihad in Syrien besitzt einsubversives und terroristisches Potenzial, das die künftige Stabilität der Länder des Nahen Ostens gefährden und einen möglichen "Export" des Dschihad-Terrorismus auch in westliche Länder und nach Israel fördern könnte.
D. Regionale Bedeutung: Die Festigung der IS und der Organisationen des globalen Dschihad im Irak und in Syrien verkörpert in sich alle Merkmale des regionalen Umbruchs, der durch den Nahen Osten weht, und kann diese sogar verschlimmern: Spannungen, Spaltungen und Feindseligkeiten zwischen ethnischen, religiösen, Stammes- und ethnischen Gruppen, die sich von der Kluft zwischen Sunniten und Schiiten ernähren; die politische Schwäche der Nationalstaaten, die aufgrund der erzwungenen Regelungen durch Großbritannien und Frankreich nach dem Ersten Weltkrieg errichtet wurden; der Verlust der Regierungsgewalt bei einigen Schlüsselländern im Nahen Osten und die Etablierung staatlicher und ideologischer Alternativen, dort wo der Nationalstaat zusammengebrochen ist. Die Festigung der dschihadistisch-salafistischen Organisationen im Irak und in Syrien veranschaulicht, dass im Nahen Osten, der in den letzten Jahren einer starken Erschütterung ausgesetzt ist, die Anziehungskraft der radikal-islamischen Ideologien als Patentrezept für das tägliche Not und für die Grunderkrankungen, die die Jahre der Nationalstaaten kennzeichnete, eminent ist.
15. Den regionalen Erschütterungen, die dem Nahen Osten widerfahren, wurde eine neue Dimension der Explosivität und Instabilität als Folge der Festigung der IS und der Organisationen des globalen Dschihad im Irak und in Syrien injiziert. Diese Festigung ist dazu imstande, die Prozesse des Zusammenbruchs und des Zerfalls im Irak und in Syrien zu beschleunigen und in die gesamte Region überzulaufen. Es wird darauf hingewiesen, dass die IS in naher Zukunft wohl ihrer anhaltenden Feldzüge im Irak und in Syrien Priorität beimessen wird, um ihre dortige Herrschaft zu festigen und die von den USA geführte Kampagne zu konfrontieren. Doch nach und nach könnte ihre Wirkung auch in anderen arabischen Ländern einsickern. (Ihre wachsenden Verbindungen zur ägyptischen Organisation Ansar Bait al-Maqdis, die die Terrorkampagne gegen das ägyptische Regime führt, sind der Beweis dazu.) Darüber hinaus können auch die "Syrien-Absolventen", die in ihre Länder im Nahen Osten zurückkehren, zu "Trägern" des Terrorismus und der Subversion werden, sei es durch die IS initiiert oder aufgrund eigener Initiative, und somit zur Instabilität in den Mutterländer führen, aus denen sie stammen. (Die Festigung des globalen Dschihad, einschließlich der "Syrien-Absolventen" in der Stadt Darnah im Osten Libyens, ist der Beweis dazu.) |
Die US-amerikanische Kampagne gegen die IS und die Reaktion der IS darauf
16. Die dramatischen Erfolge der IS im Nordirak im Sommer 2014 bedeuteten einen schweren Schlag für die US-amerikanische Politik im Irak. Ziel dieser Politik war, im Irak ein demokratisches Regime zu etablieren, das zur Terrorismusbekämpfung beitragen und dem Irak eine Regierungsstabilität verleihen wird.Erwiesenerweise war dieses Ziel durchaus unrealistisch. Die irakische Armee, in die die USA enorme Ressourcen investiert hatten, zeigte sich in all ihren Schwächen. Zudem wurden auch die Schwächen der Zentralregierung in Bagdad enthüllt, die mit der von den USA unterstützten schiitischen Gemeinschaft identifiziert ist. Darüber hinaus betrachteten die USA die Festigung der IS und der al-Nusra-Front im Irak und in Syrien als Gefahr, die die Stabilität der anderen Länder in der Region untergraben könnte, die mit den USA und dem Westen enge Kontakte unterhalten (Jordanien, Saudi-Arabien, der Libanon und die Golfstaaten). Hinzu kam der deutliche Anstieg der ausländischen Freiwilligen, die der IS und den anderen Dschihadisten Organisationen beitraten und nach der Rückkehr in ihre Heimatländer zum Sicherheitsrisiko werden könnten.
17. Während der ersten drei Jahre seit dem Ausbruch des Bürgerkrieges in Syrien haben die USA der IS und der al-Nusra-Front keine besondere Bedeutung beigemessen und diese eher als Teil des allgemeinen Chaos betrachtet, der im Irak und in Syrien nach dem Zerfall der Regime dieser beider Länder herrschte. Die dramatische Veränderung in der US-Politik begann im Sommer 2014 nach dem Fall der Stadt Mossul, die Ausrufung des Islamischen Kalifats und dem deutlichen Anstieg des Beitritts ausländischer Freiwilliger in die Reihen der IS, unter anderem aus westlichen Ländern. Die in den Medien bekannt gegebenen Massaker und Hinrichtungen der IS provozierten Ärger und Bestürzung in der amerikanischen und der westlichen Öffentlichkeit und trugen ebenfalls zur Änderung der US-Politik und der Politik der Länder des Westens gegenüber der IS bei.
18. Von einer Unterschätzung der ISwandten sich die USA in Richtung einer Dämonisierung der Organisation und zeichneten sie als bedeutende regionale und internationale Bedrohung. Die signifikante Veränderung in der Wahrnehmung der IS brachte eine amerikanische Reaktion in zwei Stufen hervor: In der ersten Phase (Juni bis August 2014) fokussierte sich die US-amerikanische Reaktion auf punktuelle Lösungen, mit deren Hilfe lokalen Streitkräften im Irak geholfen werden sollte, den Vorstoß der IS zu bremsen. Darunter fielen Luftangriffe, die Sendung einer kleinen Anzahl von Beratern und die Lieferungen von humanitärer Hilfe an einige Minderheiten. Bald wurde jedoch klar, dass die punktuellen Lösungen unwirksam sind und keine angemessene Antwort auf die Herausforderung liefern können, die die Erfolge der IS gegenüber den USA und deren Interessen dargestellt haben.
19. Daher formulierten die USA in zweiter Phaseeine Gesamtstrategie für die Kampagne gegen die IS, die in der Rede von Präsident Obama am 10. September 2014 zum Ausdruck gebracht wurde. Diese Strategie zielte darauf ab, so Obama, die IS bis zur Zerstörung zu schwächen und besteht aus mehreren Komponenten: massive Luftangriffe in Syrien und dem Irak; Stärkung der lokalen Kräfte in Syrien und im Irak (moderate syrische Rebellengruppen, die irakische Armee und kurdische Kräfte); Schädigung der Bezugsquellen der IS (und vor allem Schwächung der Geldquellen); bessere Bewältigung der USA und der internationalen Gemeinschaft des Phänomens der "Syrien-Absolventen" nach deren Rückkehr in ihre Heimatländer. All diese, so betonten Präsident Obama und andere amerikanische Sprecher immer wieder, sollen ohne eine Versendung signifikanter Bodentruppen geschehen, um die IS im Irak und in Syrien zu bekämpfen.
20. Für die Umsetzung dieser Strategie baute die USA in einem relativ kurzen Zeitrahmen eine internationale Koalition aus westlichen und arabischen Ländern auf. Westalliierte (insbesondere Frankreich und das Vereinigte Königreich) beteiligten sich an den Luftangriffen im Irak, während sich einige arabische Länder (Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Jordanien und Bahrain) an den Luftangriffen in Syrien beteiligten.Bis Ende Oktober 2014 wurden von den USA und ihren Verbündeten mehrals 632 Luftangriffegegen militärische und wirtschaftliche Infrastrukturen der IS im Irak und in Syrien durchgeführt. Im Irak waren es mindestens 346 Angriffe und in Syrien mindestens 286.
21. Unserer Meinung nach hat die neue amerikanische Strategie mehrere Schwachstellen,die in dieser Studie untersucht werden.Vor allem geht es um die Festlegungunrealistischer politischer Zielebei derKampagne gegen die IS,seien sie offen oder verdeckt; des weiteren geht es um die Schwierigkeiten, eine Organisation mit einer islamischen dschihadistisch-salafistischen Ideologie wie dieIS vollständig zu entwurzeln;um dieGrenzen der militärischen Kraft, die in einerKampagne sowohl gegen die IS, als auch gegen dschihadistische Organisationen im Allgemeineneingesetzt werden kann; um die Schwäche der lokalen Kräfteim Irak und in Syrien, auf die die USA "erbauen"; und schließlich um dieHeterogenität der Koalition,die sich mit den USAverbündete und die aus vielen Ländern mit unterschiedlichen Interessen und innerpolitischen Zwängen besteht, die eine effektive Hilfe von Seiten der USA erschweren dürfte.
22. Doch jenseits der diversen Schwachstellen ist auch dieproblematische politische und soziale Realität im Irak und in Syrien in Betracht zu ziehen, die sehr schwierig und unserer Meinung nach unmöglich mit militärischen Aktionen zu ändern ist, seien diese begrenzt oder auch breiter angelegt.Denn die IS und auch andere Terrororganisationen dschihadistischer Natur wuchsen im Lichte der chaotischen Zustände in Bezug auf Sicherheit, Regierungsfähigkeit und sozialer Verhältnisse, die den Zusammenbruch und den Zerfallder Nationalstaatssysteme im Irak und in Syrien begleiteten und angesichts der dramatischen Veränderungen, die sich im Nahen Osten im Rahmen der regionalen Erschütterungen vollzogen.Es ist eben der "Sumpf", in der die IS und andere dschihadistische Organisationen florieren.Unserer Meinung nach kann hier keine radikale Lösung gefunden werden, solange der "Sumpf" nicht trockengelegt wird, und diese Trockenlegung zeichnet sich gerade nicht am Horizont ab.
23. Dennoch besitzt auch die IS mehrere Schwachstellen, die ebenfalls in dieser Studie analysiert werden.Sollten die USA diese Schwachstellen erfolgreich ausnützen, könnte die Kampagne gegen die IS positive Resultate erbringen,wenn auch weniger anspruchsvolle als die, auf die Präsident Obama abzielt.So könnten die USA zum Beispiel die IS schwächen(aber nicht zu ihrer Liquidation oder vollständigen Entwurzelung führen);die Dynamik ihrer Expansion im Irak und in Syrienbremsen (während der Kampf um Bagdad auf der Tagesordnung steht);die diversen Machtzentren stärken, die im Irak und in Syrien der IS feindlich gegenüberstehenund die bereit wären, vor dem Hintergrund ihrer gemeinsamen Opposition zur IS zu kooperieren. Die Kampagne gegen die IS kann auchzur Verbesserung der Art und Weise beitragen, wie man in den USA und ihren Verbündeten mit dem Phänomen der "Absolventen" umgehen kann, die nach den Kämpfen im Irak und in Syrien in ihre Heimatländer zurückkehren.
24. Die Reaktion der IS: Alsunmittelbare Reaktion auf die amerikanische Kampagne hat die IS durch Enthauptungen, die über die Medien liefen, fünf Geiseln hingerichtet, drei Amerikaner und zwei Briten. Am 21. September 2014 rief sie ihre Unterstützer weltweit auf, Zivilisten der USA und ihrer Verbündeten in vielfältiger Weise zu töten.Es ist daher möglich, dass mehrere Angriffe, einschließlich die Fahrzeugs- und Schießereiangriffe, die in Kanada stattgefunden haben, die Vereitelung der Absicht, australische Zivilisten zu enthaupten, sowie Attacken in anderen Ländern den Beginn einer Realisierung dieses Aufrufs sind.
Die israelische Perspektive
25. Die Festigung der IS im Irak und in Syrien ist Teil des umfangreicheren Phänomens des Ausbaus der Organisationen des globalen Dschihad in diesen beiden Ländern, darunter auch die al-Nusra-Front. Aus israelischer Perspektive stelltdieses Phänomen mehrere Risiken und Bedrohungen dar:
A. Das Potenzial, die Golanhöhen und die Sinai-Halbinsel in aktive Terrorfronten umzuwandeln: Bereitsheute wird das meiste Gebiet der Golanhöhen von Rebellengruppen dominiert, von denen die Bekannteste die al-Nusra-Front ist,dieZweigstelle der al-Qaida in Syrien.[3] Obwohl die IS im Moment noch keine bedeutende Präsenz auf den Golanhöhen zeigt, kann sich (als Folge des Bürgerkriegs in Syrien oder eines amerikanischen Angriffs) eine Dynamik entwickeln,die schließlich die Golanhöhen von einer relativ ruhigen Gegend zur aktiven Terrorszene umwandeln wird, die von der al-Nusra-Front geführt werden könnte.Auch von der Sinai-Halbinsel aus könnten sich Terrorangriffe der Organisation Ansar al-Maqdis, die der IS ihre Treue geschworen hat und die Terrorkampagne gegen das ägyptische Regime führt, gegen Israel erweitern.
B. Hilfe der IS für dschihadistische Gruppierungen im Nahen Osten, einschließlich in den Nachbarstaaten Israels: DieIS ist eine Terrororganisation, die halbstaatliche Fähigkeiten besitzt.Sie besitzt ebenso Kampfmittelund fortschrittliche Waffentechnologien, die überwiegend von den Armeen von Syrien und dem Irak beschlagnahmt wurden.Sie verdient große Geldsummen von den Ölfeldern und von anderen Einkommensquellen; sie hat ein Unterstützungssystem im Nahen Osten und auf der ganzen Welt, das ihr beim Rekrutieren von Ausländern hilft;und schließlich besitzt sie aucheine effiziente Kommunikationsinfrastruktur, die sie sowohl selbst, als auch den globalen Dschihad auf der ganzen Welt als "Markenzeichen" bekannt macht.Diese Fähigkeiten werden in erster Linie für innerpolitische Zwecke (im Kampf gegen die vielen Feinde im Irak und in Syrien) verwendet. Diese aber können später in diverse Dschihad-Gruppierungen im Nahen Osten überlaufen,einschließlich in den Nachbarstaaten Israels und andere Organisierungsformen und die operativen Fähigkeiten der lokalen dschihadistischen Organisationen (im Libanon, in Jordanien, Judäa und Samaria, im Gazastreifen, auf der Sinai-Halbinsel) stärken.
C. Terroranschläge in Israel und gegen israelische und jüdische Ziele im Ausland: Unserer Meinung nach wird die kurzfristige strategische Priorität der IS bei der Festigung ihrer Kontrollgebiete in Syrien und im Irak liegen. Angesichts der US-Luftangriffe und die Wettbewerbsdynamik zwischen den dschihadistischen Organisationenkönnte die IS jedoch Angriffe gegen Israel ermutigen oder gar ausführen (sei es von Israels Grenzen aus oder im Landesinneren)oder solche auch gegen israelische oder jüdische Ziele im Ausland ausführen.Dies wäre ihr mitHilfe der "Absolventen" aus dem Irak und aus Syrien möglich,die in ihre Heimatländer zurückkehren, oder durch Unterstützung von Aktivisten und Organisierungen vor Ort.
D. Die Zusammenarbeit der USA und der Koalitionsstaaten mit dem Iran: Trotz grundlegender Feindseligkeit des Iran gegenüber den USA und trotz Irans Untergrabung der USA-Interessen im Nahen Osten,könnten zwischen ihnen ad hoc Interessengemeinschaften in Syrien und dem Irak entstehen, die gegen die IS und dem globalen Dschihad, dem gemeinsamen Feind, gerichtet sind.Solche Interessengemeinschaften könnten politische Bedeutung bekommen und fundamentale Interessen des Staates Israel schädigen (beispielsweise Konzessionen an den Iran in der Atomfrage).Darüber hinaus kann die Kooperation mit dem Iran gegen die IS sowohl den Einfluss des Iran in Syrien und im Irak, als auch den Status der Hisbollah im Libanon stärken.Als Ergebniskann das gesamte radikale Lager unter der Führung des Iran gestärkt werden.
26. Ein weiteres Risikokomplex, das nicht nur für die westlichen Länder, sondern auch für Israel relevantist,liegt in der regionalen politischen Arena.DieseRisiken resultieren ausdem subversiven Potenzial, das der Stärkung der al-Qaida und des globalen Dschihad im Irak und in Syrien innewohnt.Die Macht der wachsenden Zentren des globalen Dschihad in diesen Ländernhat bereits begonnen, in die gesamte arabische Weltüberzulaufen. Somitbesitzt es ein Risikopotenzial für zwei pro-westliche arabische Staaten,Jordanien und Saudi-Arabien,die bisher eine Widerstandsfähigkeit erwiesen und in der Lage waren, die Schockwellen der regionalen Erschütterungen zu überleben.Ein "Überlaufen" könnte die Macht der Organisationen des globalen Dschihad in den Peripherieländern des Nahen Osten,in denen schwache Regime walten, wieLibyen und der Jemen,oder in anderen Ländern mit unstabilen Regime, wieTunesien,ausbauen.
Methodologische Hinweise
27. IS (auf EnglischISISoderISIL) ist das arabischen Akronymfür islamischer Staat im Irak und in Groß-Syrien (ad-daula al-Islāmīya fī l-Irāq wa-š-Šām).Nach der Ausrufung des islamischen Kalifats benutzt die IS Begriffewie "islamischer Staat" oder "Kalifatsstaat".Trotzdemwird in dieser Studie der Name IS benutzt, der noch immer von der internationalen Gemeinschaft, den arabischen und westlichen Medien und manchmal sogar unter den Anhängern des "islamischen Staats" benutzt wird. |
28. Während der Arbeit an der Studie sah sich das Informationszentrum einer Reihe von Herausforderungengegenüberstellt:
A. Eine Fülle von Einzelinformationen in ein umfassendes Forschungsbild umzuwandeln: Seitdem die IS zur regionalen und internationalen Bedrohung geworden ist, begann auf täglicher Basis eine Fülle von punktuellen Informationen über ihre Handlungen in den Medien zu erscheinen.Die Herausforderung bei dieser Studie war, die einzelnen Informationen ineinem umfassenden Forschungsbild zu integrieren,in dessen Rahmendas Phänomen der aufsteigenden IS mit seinen vielen Aspekten untersucht werden soll: der historische Hintergrund und die Motive für ihre Gründung;ihre islamische dschihadistische-salafistischeWurzeln;ihre Ziele;ihre militärischen, politischen, staatlichen und finanziellen Fähigkeiten;die Umgebung, in der sich die IS bewegt: im Irak , in Syrien, im Nahen Osten und weltweit.
B. Häufige Änderungen der momentanen Lage im Irak und in Syrien: Diese müssenangesichts der dramatischen Entwicklungen vor Ort während der letzten sechs Monate und angesichts der Turbulenzen im Nahen Osten in Betracht gezogen werden.Hinzu kommen dergrundlegende Charakter der IS als dynamische Organisation,die eine ständige Änderung der Realität anstrebt, in der sie gegen einer Vielzahl von lokalen Feinden kämpftund in der gegen sie eine internationale Kampagne geführt wird.All diese erforderneine ständige Aktualisierung der Studie,das Verständnis der Bedeutungen von taktischen Entwicklungen und eine ständige Überprüfung der Lage vor Ort.Da sich die häufigen Änderungenbis zum heutigen Tage vollziehen,sollte diese Studie eher als eine Zwischenbilanz betrachtet werden, die im weiteren Verlauf aktualisiert werden sollte.
C. Die Notwendigkeit, diverse Disziplinen und Wissensbereiche zu integrieren: Die Beschäftigung mit der IS handelt nicht von einer Untersuchung einer terroristischen Organisation, die auf einer national-lokalen Ebene agiert. Sie erfordertdie Integration von verschiedenen und vielfältigen Disziplinen und Wissensbereiche,sozum Beispiel die Geschichte des Islam; die Geschichte der dschihadistischen-salafistischen Bewegung, von der die IS stammt; die Lage der al-Qaida und des globalen Dschihad; die Prozesse und Entwicklungen in den Bürgerkriegen im Irak und in Syrien, und die regionalen Erschütterungen im Nahen Osten in ihren verschiedenen Erscheinungsformen (beispielsweise das Schisma zwischen Sunniten und Schiiten).Bei dieser Studie haben wir uns sowohl auf die Literatur und vorhandene Forschungsarbeiten gestützt, als auch kompetente Experten in den verschiedenen Bereichen herangezogen.
D. Problematische Datenquellen: Beim Verfassen dieser Studie stützten wir uns auf Primärinformationen, die von der IS selbst und von anderen dschihadistischen Organisationen stammen.Die IS veröffentlicht Informationen in Bezug auf ihr Vorgehen oft über das Internet. Dennoch handelt es sich eindeutig um Propagandainformationen,die darauf abzielen, der IS zu huldigen, ihre Gegner zu diskreditieren, Feinde einzuschüchtern und Vorwürfe gegen sie abzuwehren.Andererseits wirdeine Vielzahl von Informationen von den (zahlreichen)Feinden der ISveröffentlicht, die sie zu diskreditieren neigen und sie oft, aus manipulativen Gründen, als größte Bedrohung darstellen.Für dieseStudie zogen wir auch Untersuchungen von Reportern heran, darunter einige Westler, denen der Besuch der von der IS kontrollierten Gebiete erlaubt wurde.Doch die Informationen, die auf diese Reporter zukamen, wurden oft von der IS aus politischen und Propagandazwecken gesteuert und kontrolliert. Dies wissend und angesichts des Mangels an verlässlichen Informationen,wurde eine sorgfältige und kritische Auseinandersetzung mit den Informationsquellen benötigt.
29. Wertvolle Informationen für die Erstellung dieser Studie schöpften wir aus laufenden Berichten und Grundlagenforschung, die vonExperten und Forschungseinrichtungen aus verschiedenen Disziplinen (insbesondere in den USA, dem Vereinigte Königreich und Israel) herausgegeben wurden, die die IS und ihre Entwicklungen im Irak und Syrien verfolgen. Auch die Berichte der diversen Nachrichtenagenturen und der internationalen Medien, die die IS und ihre Entwicklungen im Irak und Syrien verfolgen, sind eine wertvolle Informationsquelle.Eine weitere Informationsquelle sind die Veröffentlichungen der Nachrichtendienste und Regierungssysteme der westlichen und arabischen Länder, die gegen die IS kämpfen (selbst wenn diese Veröffentlichungen ihre eigenen Vorurteile besitzen).Als Hintergrundsmaterial dienten auch frühere Publikationen des Informationszentrums für Geheimdienste and Terrorismus in Bezug auf die Festigung der mit der al-Qaida und dem globalen Dschihad verbundenen Organisationen in Syrien (s. Publikationsliste im Anhang).
Aufbau der Studie
30. Die Studie umfasst folgende Teile:
Einleitung:
1) Zweck der Studie
2) Die Wurzeln der IS
3) Die Ideologie der IS
4) Schlüsselmerkmale der IS
5) Militärische Züge der IS im Irak und in Syrien (aktueller Stand, Mitte November 2014)
6) Die wesentliche Implikationen und Bedeutungen der Festigung der IS im Irak und in Syrien
7) Die US-amerikanische Kampagne gegen die IS und die Reaktion der IS darauf
8) Die israelische Perspektive
9) Methodologische Hinweise
Teil I: historische Wurzeln und Entwicklungsstadien der IS:
1) Der historische Hintergrund
2) Die Etablierung einer Zweigstelle der al-Qaida im Irak unter Abu Mus'ab az-Zarqawiund der Beginn der Kampagne gegen die USA und ihre Verbündeten
3) Die Etablierung der Organisation des islamischen Staats im Irak (ISI) und die Weiterführung der Kampagne gegen die USA und ihre Verbündeten
4) Die Wiederherstellung der Macht der Organisation des islamischen Staats im Irak und Ausbau ihrer Aktivitäten nach dem Abzug der US-Armee
5) Die Aktivierung von Selbstmordattentätern, die operative "Visitenkarte" der al-Qaida Zweigstelle im Irak (in ihrer unterschiedlichen Erscheinungsformen)
6) Die Ausbreitung der Organisation des islamischen Staats im Irak ins syrische Gebiet, die Errichtung der IS und seine Stärkung.
Teil II: die Ideologie und die Vision der IS und deren Umsetzungen:
1) Die IS als islamische dschihadistische-salafistische Organisation
2) Die Grenzen des islamischen Kalifats, dessen Einrichtung vom IS angekündigt wurde: Realität und Vision
3) Die Institution des Kalifats in der islamischen Geschichte
4) Die Beseitigung der Nationalstaaten im Nahen Osten
5) Die Wurzeln der Feindseligkeit gegenüber den USA, dem Westen und den westlichen Werten
6) Das Konzept des "Tachpir" (Erklärung des Anderen als "Ungläubiger", dessen Blut ist erlaubt ist) und seine Bedeutungen.
7) Der Beginn einer Vision: Die Erklärung des islamischen Kalifats
8) Der Aufruf al-Baghdadis zum Dschihad und die Vision einer islamischen Übernahme der Welt
9) Al-Baghdadis öffentlicher Auftritt in der Großen Moschee von Mossul
10) Die Reaktionen auf die Etablierung eines islamischen Kalifats
11) Die IS-Fahne und deren islamische Bedeutungen
12) Die islamische Wurzeln des Phänomens der Gräberzerstörung und Zerschlagung von Statuen durch die IS
Teil III: Die militärischen Erfolge der IS im Irak im Sommer 2014 und die Errichtung seiner Regierungssysteme:
1) Allgemeine Merkmale
2) Der Angriff im Nordirak: Die Erfolgsphase (Juni bis August 2014)
3) Die Bremsphase (zweite Augusthälfte bis September 2014)
4) Die Wiederaufnahme der Feldzüge wohl als Auftakt für die Eroberung der Stadt Bagdad?(Ende September bis Mitte November 2014)
5) Absichten für die Zukunft
6) Die Hinrichtungen von Gefangenen und Morde von Angehörigen ethnischer Minderheiten
7) Die Errichtung der Regierungssysteme in Mossul
8) Die Schaffung eines Bildungssystems im Irak
9) Die Schaffung eines Rechts- und Vollzugssystemsim Irak
10) Die Regierungssymbole: Die Ausstellung von Reisepässen und die Absicht, Münzen zu prägen
11) Die Rekrutierung neuerAktivisten in die Reihen der IS
Teil IV: Die Festigung der IS im Osten und Norden Syriens:
1) Allgemeine Merkmale
2) Al-Raqqa: "Hauptstadt" der IS in Nordsyrien
3) Die Eroberung des Militärflughafens al-Tabka in Syrien durch die IS
4) Der Kampf um Ain al-Arab (kurdisch: Kobane) und seine Bedeutung
5) Die Bemühen der IS, sich in der Peripherie von Aleppo und an den Grenzübergängen zu festigen
6) Die Rekrutierung neuer Aktivisten in die Reihen der IS
7) Abu Omar al-Schischani, eine prominente Figur in den Reihen der IS im Osten und Norden Syriens
8) Gründung des Vollzugssystemsim Osten und Norden Syriens
9) Die Übergriffe auf Christen und Angehörige anderer Minderheiten
10) Das Bildungssystem der IS
11) Das Rechtssystem der IS
Teil V: Die Fähigkeiten der IS: Anzahl der Aktivisten, Steuerungssystem, militärische Stärke, die Führung, die Verbündeten und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit:
1) Die aktuelle Schätzung der Aktivistenzahl der IS
2) Die Führung des islamischen Staats
3) Die administrative Teilung
4) Die Kampfmitteln der IS und deren Herkunft
5) Die Möglichkeit, chemischer Waffen durch die IS einzusetzen
6) Die Führung der IS
7) Die sunnitischen Verbündete der IS
8) Die wirtschaftlichen Möglichkeiten der IS
Teil VI: Der "Export" des Terrorismus und die Subversion gegen die westliche Staaten und die arabische Welt:
1) Der Überblick auf die aktuelle Lage.
2) Der historische Hintergrund: "Export" aus dem Irak in der Zeit des Abu Mussab al-Sarkawis und seinen Nachfolgern
3) Das Phänomen der ausländischen Freiwilligen in den Reihen der IS
4) Die Risiken von ausländischen Freiwilligen: Den Angriff im Jüdischen Museum in Brüssel als Testfall
5) Die Aktivität der IS im Libanon
6) Die Zusammenarbeit der IS mit der Organisation Ansar al-Maqdis in Ägypten
7) Die Unterstützungsbekundungen in anderen arabischen Ländern gegenüber die IS
8) Die Solidarität mit der IS in einigen Ländern Asiens
9) Der Beitritt Dutzender von Arabern aus Israel in die Reihen der IS und Unterstützungsbekundungen unter den israelischen Arabern gegenüber die IS
Teil VII: Die PR der IS:
1) Allgemeine Merkmale
2) Die Medienorgane der IS
3) Die Internet-Veröffentlichungen und Webseiten der IS
4) Die westlichen Ländern und die muslimische Gemeinschaften im Westen als wichtiges Ansprechziel der IS
5) Die Kampagne zur Erlangung der Unterstützung der Muslime auf der ganzen Welt: "Eine Milliarde Muslime unterstützen den islamischen Staat"(Juni 2014)
Teil VIII: Die amerikanische Kampagne gegen IS:
1) Die Unterschätzung der IS von Seiten der USA
2) Die Veränderung in der Wahrnehmung der Bedrohung der IS und der Formulierung einer US-amerikanischen Reaktion
3) Die begrenzte US-amerikanische Reaktion (Juni bis Mitte September 2014)
4) Die Formulierung einer umfassenden Strategie für die Kampagne gegen die IS (Barack Obamas Rede vom 10. September 2014)
5) Die Formation einer internationalen Koalition
6) Die Einschränkungen der UN-Legitimität bei der Kampagne gegen die IS
7) Luftangriffe in Syrien und dem Irak als zentrale Komponente im Rahmen der neuen Strategie
8) Der terroristische Aufbau in Chorasan: Ein weiteres Ziel der amerikanischen Angriffe
9) Die erste Bewertung der Ergebnisse der Luftangriffe
10) Die Bedeutung und Perspektiven der US-amerikanischen Kampagne gegen die IS
Teil IX: Die Reaktion der IS auf die US-amerikanische Kampagne (aktueller Stand Ende Oktober 2014):
1) Allgemeine Merkmale des Verhaltens der IS gegenüber den USA und des Westens
2) Die Bedrohungskampagne (Juni 2014)
3) Die Entführung der westlichen Geiseln durch die IS – Merkmale des Phänomens
4) Die Verwendung von entführten Journalisten für Propagandazwecken – der Fall von John Cantele
5) Die Realisierung der Drohungen: Die Enthauptung von vier westlichen Geiseln
6) Der Aufruf der IS zum Mord an westlichen Zivilisten und die ersten Reaktion darauf (aktueller Stand Ende Oktober 2014).
Anhang: Forschungen und regelmäßige Bulletins, die das Informationszentrum für Nachrichtendienste und Terror über die Festigung der al-Qaida in Syrien und dem Irak herausgegeben hat (September 2013 bis Juli 2014).
* Der vollständige Text ist auf der Website in hebräischer Sprache verfügbar und wird demnächst vollständig ins Englische übersetzt.
[1] Nach Einschätzung der CIA dienen in der IS zwischen 20.000 und 31.500 Aktivisten. Nach Einschätzung der CENTCOM, dem Zentralkommando der Vereinigten Staaten, dienen dort 9.000 bis 17.000 Aktivisten.
[2] Der britische Journalist John Cantele, der von der Terrormiliz IS entführt wurde, behauptete, ein Propagandavideo der IS vom Oktober 2014 würde die Zahl von acht Millionen Menschen unter der Kontrolle der Organisation nennen. Unserer Meinung nach ist diese Zahl übertrieben.
[3] Ein hochrangiger israelischer Offizier, der auf den Golanhöhen dient, sprach mit Reportern und berichtete, dass 95% des Gebiets an der syrisch-israelischen Grenze, mit Ausnahme des Hermon-Bergs, zurzeit von verschiedenen Rebellengruppen kontrolliert wird. Die dominierende Rebellengruppe entlang der Grenze ist die al-Nusra-Front, die im Verlauf der letzten zwei Monate das Gebiet von Quneitra besetzte (Haaretz, 22. September 2014).